Atempause im Machtkampf mit der CSU: Merkel: „Ich fühle mich gestärkt“
CDU-Granden stützen Kanzlerin, Seehofer droht im Asyl-Streit weiter mit „Alleingang“
Der Showdown ist vorerst verschoben – doch der Druck auf die Kanzlerin bleibt extrem.
Bei getrennten Sondertreffen haben CDU- und CSU-Abgeordnete über Stunden um eine Lösung im Asyl-Streit gerungen.
Nach BILD-Informationen rückt die CSU nicht von ihrer Forderung ab, bereits in anderen EU-Ländern registrierte Migranten an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Allerdings bleibt doch noch Zeit, eine Kompromisslösung zu finden: „Vorerst“ werde man keine Abstimmung der Fraktion im Asylstreit fordern, erklärte die CSU.
Und: Angela Merkel (CDU) erzielt von den CDU-Granden viel Zustimmung für ihren Kompromissvorschlag, so dass sie am Ende einer CDU-Sondersitzung sagte: „Ich fühle mich gestärkt“.
Die CSU hatte Merkel zuvor ein Ultimatum gesetzt, drohte sogar mit einem Alleingang! Sollte es keine Einigung geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ein beispielloser Vorgang, der die Machtprobe zur Regierungskrise machte.
„Endspiel um die Glaubwürdigkeit“
Selbst ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft wurde in CSU-Kreisen zunächst nicht mehr ausgeschlossen. Dies berichtete die „Augsburger Allgemeine“ unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten „führenden“ CSU-Abgeordneten.
Dem widersprach der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Friedrich am Nachmittag: Es habe keiner in der Sitzung gefordert, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im Kreis seiner Parteifreunde jedoch wörtlich: „Wir sind im Endspiel um die Glaubwürdigkeit. Die Menschen haben die Geduld verloren. Die CSU steht. Wir müssen jetzt beweisen, dass wir für unsere Haltung stehen."
Ein CSU-Mann sagte zu BILD: „Die Kanzlerin bittet um Vertrauen und Geduld. Wir haben weder Vertrauen noch Geduld.“
Rückendeckung für Merkel aus der CDU
Aus der CDU bekam Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach BILD-Informationen jedoch breite Zustimmung für ihren Verfahrensvorschlag. Ihr Zeitplan: Parteigremien am Montag, danach Fraktionssitzung, bilaterale Verhandlungen bis zum Europäischen Rat in Brüssel, danach erneute und abschließende Bewertung.
Merkel sagte intern zu, sie wolle beim EU-Gipfel (28. und 29. Juni) tiefgreifende Fortschritte für eine gemeinsame Asylregelung in der EU erreichen.
Vor allem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) war es, der die Abgeordneten auf die Linie einschwor, das Vorgehen an den Grenzen mit den EU-Partnern abzustimmen. Hintergrund: Befürchtet wird ein Dominoeffekt in der EU, wenn Deutschland auf eigene Faust handelt.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warf der CSU vor, ein Quasi-Ultimatum sei nicht akzeptabel. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) beschwerte sich, dass er bis heute Seehofers „Masterplan“ nicht vorliegen hat – und deshalb nicht darüber abstimmen lassen könne.
Hintergrund: Seehofer soll das Papier Bundeskanzlerin Angela Merkel nur unter der Maßgabe gegeben haben, dass sie ihn nicht an die Fraktionsführung weiterreiche.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im Präsidium, die Diskussion werde am „falschen Ort“ geführt, das Thema gehöre in die Fraktion: „Nur dort sitzt die Union zusammen und nur dort kann sie zusammengehalten werden …“
Sein Vorschlag, noch am Nachmittag mit der CSU gemeinsam zu tagen, fand aber keine Mehrheit.
Merkel ergriff ganz zum Ende der Sitzung das Wort. Sie fühle sich „gestärkt“ in ihrer Linie, nach Lösungen auf europäischer Ebene zu suchen, sagte sie nach Angaben aus Parteikreisen.
Im Anschluss traf die Kanzlerin mit den Regierungschefs der Bundesländer zusammen. Mit Seehofer sind vorerst keine weiteren Gespräche geplant.
Söder: „Keine halben Sachen mehr“
Lange hatte es so ausgesehen, als wolle die CSU noch am Freitag eine Kampfabstimmung erzwingen.
Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einer „historischen Situation“: Man müsse das Asylsystem neu ordnen, dazu gehöre, dass man jetzt Entscheidungen treffe und nicht auf unbestimmte Zeit verschiebe, sagte er. EU-Regelungen würden zu lange dauern.
Diese Position wolle man nun am Montag in den CSU-Parteivorstand in München tragen, um dort zu einer Entscheidung zu kommen, kündigte Dobrindt an.
Den Streit mit der CDU bezeichnete er als „ernst, sehr ernst“.
Söder sagte, Zurückweisung an der Grenze sei jetzt der „Glaubwürdigkeitstest“!
„Wir müssen zeigen, dass unser Land handeln will und handeln kann! Wir müssen endlich die Fehler von 2015 beheben.“
„Kosmetische Lösungen“ würden nichts mehr bringen. Das „politische Grundwasser in Deutschland sei angegriffen.“ Bei der Zuwanderung dürfe man „keine halbe Sachen mehr machen“, sagte Söder.
Zeitweise lagen die Nerven bei seinen Parteifreunden so blank, dass es zu öffentlichen Anfeindungen kam. Dies berichtete Ohrenzeuge und „Welt“-Reporter Robin Alexander auf Twitter:
Was meint Seehofer mit Alleingang?
Rechtlich betrachtet kann Seehofer kraft seines Amtes als amtierender Bundesinnenminister die Zurückweisung der von Flüchtlingen an den Grenzen im Alleingang entscheiden. Er braucht dafür nicht die Zustimmung der Kanzlerin oder des Kabinetts. Die Bundespolizei müsste dann umgehend entsprechend seiner Vorgaben handeln.
Für Merkel und ihre Koalition würde dies aber faktisch das Ende der Regierung bedeuten. Die Kanzlerin könnte, wenn sie den Alleingang verhindern wollte, Seehofer nur das Vertrauen entziehen, ihn entlassen. Damit wäre die Regierung am Ende.
Rückblende
Am Mittwochabend hatte sich Merkel noch mit ihrem Innenminister für gut zweieinhalb Stunden zum Krisen-Gespräch im Kanzleramt getroffen. Das Ergebnis: Seehofer war hart geblieben.
► Dabei war Merkel mit einem konkreten Kompromissvorschlag in das Gespräch mit Seehofer gegangen.
Ihr Vorschlag: Bis zum nächsten EU-Gipfel in zwei Wochen soll ein Abkommen mit allen Ländern (vor allem im Mittelmeer-Raum) vereinbart werden, in die Migranten zurückgeschickt werden könnten.
„Keine Option“, hieß es dann von CSU-Seite. Es sei den Menschen draußen nicht zu erklären, warum in zwei Wochen funktionieren solle, was in drei Jahren nicht geschafft wurde.
CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte BILD: „Es geht um die Durchsetzung von geltendem Recht! Die CSU ist maximal entschlossen. Wir setzen es durch. Wir werden bei dieser Schicksalsfrage für unser Land nicht wackeln.“
CSU machte Gegenvorschlag
Die CSU steht demnach auf dem Standpunkt, Merkel könne NACH einem Beschluss über Zurückweisungen gern parallel über „europäische Lösungen“ verhandeln. Besser noch: Die Verhandlungen würden durch ein starkes deutsches Zeichen zusätzlichen Nachdruck erhalten.
Söder hatte zudem angeboten, die Bayerische Grenze zu Österreich noch stärker zu schützen. Derzeit wird an drei Grenzübergängen von insgesamt 90 kontrolliert, Bayern könne da aber mehr machen.
FDP-Chef Lindner auf Seehofer-Linie
FDP-Chef Christian Lindner signalisierte Unterstützung für die Position der CSU: Als „Zwischenschritt“ könne es „sinnvoll sein, Vorschläge in der Richtung von Herrn Seehofer auch zu nutzen“, sagte er. Längerfristig müsse eine europäische Lösung in der Asylpolitik gefunden werden.
SPD-Chefin Andrea Nahles kritisierte die CSU-Führung: „Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind hier nicht angemessen“, sagte sie.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht Deutschland „an einem Scheideweg: „Jetzt geht es um eine Entscheidung für ein starkes Europa der Solidarität, Humanität und des Rechtsstaates oder für den Verrat all dieser Werte“, sagte sie.
Die CDU-Innenminister erhöhten den Druck auf Kanzlerin Merkel. Sachsens Innenminister Roland Wöller zu BILD: „Wir unterstützen Horst Seehofer und auch seinen Plan, Asylsuchende, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden, an deutschen Grenzen zurückzuweisen.“
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht: „In der EU registrierte Flüchtlinge, sogenannte Dublin-Fälle, sollten prinzipiell nicht mehr auf die Bundesländer verteilt werden. Dazu bedarf es grenznahe Bearbeitungszentren in denen geprüft, entschieden und auch zurückgewiesen wird.“
Union bringt Vertrauensfrage ins Spiel
Und auch bei den CDU-Bundestagsabgeordneten brodelt es. Der Bundestagsabgeordnete Axel Fischer (CDU) sagte zu BILD: „Seit 2015 diskutieren wir über dieses Thema. Irgendwann muss man Entscheidungen treffen, notfalls auch mit einer Vertrauensfrage.“
Und das könnte für Merkel eng werden.
BILD hatte am Mittwoch alle Unions-Abgeordneten des Bundestags gefragt, ob sie FÜR oder GEGEN eine Zurückweisung von bereits registrierten Flüchtlingen sind.
Alarmierend für die Kanzlerin: Von den 246 Bundestagsabgeordneten der Unionsfraktion stellten sich lediglich Sybille Benning, Antje Tillmann und Kees de Vries (alle CDU) hinter die Haltung der Kanzlerin!
Rückendeckung für Seehofer kommt auch von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (43, CDU): „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, der muss dahin zurückgehen. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass an den Grenzen zurückgewiesen wird.“
Auch Bremens CDU-Chef, Jörg Kastendiek (53), und Thüringens CDU-Vorsitzender, Mike Mohring, sprachen sich für Zurückweisungen aus.
Unterstützung im unionsinternen Streit über die Asylpolitik bekam Merkel hingegen von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU).
Er argumentierte im NDR: „Wenn wir Asylbewerber an den Grenzen gleich wieder zurückschicken würden, würde das ja bedeuten, dass wir an allen Grenzen wieder Kontrollen aufwändig durchführen müssten.“
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) stellt sich hinter die Kanzlerin: Wenn bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abgewiesen werden, könne das dazu führen, „dass am Ende das ganze System unkontrollierbar wird“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“.
Bürger lehnen Merkels Kurs ab
Die derzeitige Flüchtlingspolitik stößt in der Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung.
Wie die „Ostthüringer Zeitung“ berichtete, sprachen sich in einer Umfrage des Erfurter Insa-Instituts 65 Prozent der Befragten absolut oder eher für geschlossene Grenzen und gegen das Bleiberecht aus.
Nur die Wähler der Grünen seien mehrheitlich eher für offene Grenzen und ein Bleiberecht für alle. Die Wähler aller anderen Parteien sind dem Bericht zufolge dagegen, insbesondere die Wähler von Union (63 Prozent), FDP (75 Prozent) und AfD (96 Prozent).
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